Berlin, Berlin!

Ende Januar 2014 war es endlich so weit, die Reise führte mich in die Hauptstadt, nach deren ganz besonderen Duft ich wohl süchtig bin. Der Kontrast von meinem derzeit recht zurückgezogenen Dasein im kühlen Lehmhaus zu dem wärmenden Häusermeer der Millionen könnte wohl nach einer 90-minütigen Reise kaum größer sein. Um diesen auszukosten, nahm ich bis zur Mulde den Weg übers Land. Ein blaugrau beschwingter Himmel dehnte sich über den Weiten der fruchtbaren Felder. In der Ferne schimmerten die Solaranlagen auf den langgestreckten Dachflächen der Massentierhaltung verräterisch.
Fahre ich auf der Avus dem Funkturm entgegen, kreisen meine Gedanken. In meinen Erinnerungen an die Ludwigsfelder Schulzeit bleibt das nahegelegene, auf dem Weg zum Alex mit dem "Sputnik " südöstlich umschiffte, Westberlin ein merkwürdig-blinder Fleck.
Seit dem Mauerfall schwenke ich am liebsten auf dem Stadtring entlang des Westhafen ins Berliner Zentrum. In dessen Norden traf ich Till zum "Lager für Arbeit und Erholung"*, die Aktualisierung der Webseiten stand zum einen auf unserem Plan.
Die Kultur fand am Samstag auf dem Potsdamer ihren Platz. "Wir haben Agrarindustrie satt"*
hatten sich tausende Demonstranten auf die Fahnen geschrieben. Eindringlich, lautstark und phantasievoll forderte der lange Zug von Alt und Jung eine längst fällige Agrarwende hin zu einer sozialen, tiergerechten und ökologischen Landwirtschaft.
In dieser bunten Gemeinschaft der Wagemutigen durchzog mich ein freudiger Schauer und die ersten Montagsdemos wurden in mir wach. Im Nachgang wurde mir ein herber Unterschied bewusst: Damals studierte ich am zentralen Ort der Bewegung, heute hatte ich unter den vielen, landesweiten Formationen eine offensichtlich Anhaltische vermisst.
Der Zug wurde von allerhand Traktoren angeführt, riesigen, blitzeblanken, andere sahen aus, als kämen sie geradewegs vom Acker. Beim Anblick eines kleinen Grünen funkte es bei mir und ein Anruf in der schweinereiche Heimat machte alles klar. Andrés traumhaft tuckernder Deutz wiegt nur gut eine Tonne, soviel trägt unser Hänger den der Niva ziehen darf. Dann bekommt der alte Knabe endlich mal Berliner Luft zu schnuppern und wir hängen uns im kommendes Jahr im Namen von Kleinfolgenreich einfach hinten dran?
Nachdem mir seltsamer Weise eine alte Dame mit Stock den günstigsten Weg auf dem spiegelglatten Gehweg zum Auto gewiesen hatte, war es auf meiner Heimfahrt nicht einfach, die Fahrtrichtung der vielstimmigen Martinshörner im Dschungel der Großstadt auszumachen.
Glücklich, erschöpft und angeregt habe ich bald nach André, dem Deutz und seinen zahlreichen Brüdern geschaut. Wir werden noch unsere Freude haben!

Lager für Arbeit und Erholung / Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps!

Serschin Boonekamp, eine dunkle Erinnerung. Nach getaner Arbeit und spätem Mittagsschlaf war er mein Leibgetränk der erholsamen Kneipenabende. Die folgende aufgeregte Schlaflosigkeit in den durcheinander gewirbelten Mannschaftszelten machte uns Jungen und Mädchen der 9.Klasse der
Hans-Beimler-Oberschule das Aufstehen in aller Frühe schwer. Erst während der Fahrt zum entlegenen Ziegelwerk wurden wir auf der hartgefederten Holzpritsche des "Ello"* richtig wach. Beeindruckt vom kräftigen Zupacken und losen Mundwerk unserer Vorarbeiterinnen in Kittelschürzen folgten wir diesen alsbald mit Respekt. Unnachahmlich für uns Halbstarke stapelten sie gekonnt die schweren und empfindlichen Ziegelrohlinge in die Trockenschuppen.
Wenn die Böschung der Tongrube durch das Abbaggern den Gleisen zu nahe rückte, wurden die Männer von den Ringöfen gerufen. Mit vereinten Kräften und Hauruck verschoben wir mit Brechstangen ein langes Stück des Schienenstrangs. Die Führung der Lock auf den welligen Gleisen war unter der Belegschaft offenbar unbeliebt. Wurde sie schlecht bezahlt oder kostete jedes Entgleisen eine Runde? Nach drei Tagen körperlicher Arbeit wurde ich jedenfalls Maschinist und schaukelte die rüttelnden Fuhren spurtreu immer hübsch im Kreis.